Unser westliches Wertesystem lehrt uns, dass wir eine Lösung zum Besten aller finden können, wenn wir uns hinsetzen und verhandeln. Wenn nötig, werden Kompromisse geschlossen und Differenzen beigelegt. Das ist gewiss das Prinzip der Vereinten Nationen: ein Forum für vernünftige, unaufgeregte Diskussionen zur Lösung von Problemen einer Region oder der ganzen Welt zu bieten, so dass es nie mehr zu einem Weltkrieg kommt.
Das ist nicht der Fall in allen nicht-westlichen Kulturen.
Rabbi Lord Jonathan Sacks (der frühere Oberrabbiner von Großbritannien) gibt hierzu einen umfassenden Blick auf das Thema Konflikte in Bezug auf die biblische Geschichte Amaleks (Covenant & Conversation, „Two Types of Hate“ Koren, 2011):
Die Israeliten waren dem Pharao entkommen. Sie hatten das Rote Meer durchquert und die Truppen des Pharaos überlebt. Sie gingen voran durch die Wildnis und wurden plötzlich von einem neuen Feind angegriffen. Ein Nomadenvolk, die Amalekiter, griff sie von der Rückseite an und tötete Alte, Kranke, Frauen und Kinder. Die Geschichte endet mit den Worten, „daß der HERR streiten wird wider Amalek von Kind zu Kindeskind“ (2. Mo. 17, 16)
Das ist sehr seltsam. Warum wurden hier so heftige Worte gewählt im Vergleich zu den Ägyptern, die einen schleichenden Völkermord an den Juden begingen, angefangen bei der Ermordung der männlichen Erstgeborenen? Die Amalekiter griffen Israel zur Lebzeit Moses nur ein einziges Mal an.
Sollten uns die Ägypter nicht größere Sorgen machen? Sind sie nicht das Symbol des Bösen? Die Torah sagt: „Den Ägypter sollst du auch nicht für einen Greuel halten; denn du bist ein Fremdling in seinem Lande gewesen“ (5. Mo. 23, 8 [7])
Und auch diese Verse:
„Denke daran, was dir Amalek tat auf dem Wege, als ihr aus Ägypten zogt: wie sie dich unterwegs angriffen und deine Nachzügler erschlugen, alle die Schwachen, die hinter dir zurückgeblieben waren, als du müde und matt warst, und dass sie Gott nicht fürchteten. Wenn nun der HERR, dein Gott, dich vor allen deinen Feinden ringsumher zur Ruhe bringt im Lande, das dir der HERR, dein Gott, zum Erbe gibt, es einzunehmen, so sollst du die Erinnerung an Amalek austilgen unter dem Himmel. Das vergiss nicht!“ (25, 17-19)
Der ägyptische Pharao nannte den Grund des Hasses auf Israel: „Siehe, das Volk der Israeliten ist mehr und stärker als wir“ (2. Mo. 1, 9). Ihr Hass kam von Furcht. Die Ägypter waren zuvor von einer fremden Macht, den Hyksos, angegriffen und erobert worden. Das hatten die Ägypter nicht vergessen.
Die Amalekiter wurden jedoch nicht durch die Israeliten bedroht. Sie attackierten die „Schwachen“ eines Volkes, das „müde und matt“ war.
Die Ägypter fürchteten die Israeliten, weil sie stark waren. Die Amalekiter griffen die Israeliten an, weil sie geschwächt waren.
Nach heutigem Sprachgebrauch handelten die Ägypter rational. Nach 7 Plagen fragten Pharaos Minister, ob er denn nicht sehen könne, dass „Ägypten untergegangen ist?“ (10, 7). Drei weitere Plagen waren notwendig, bis er es erkannte. Die Amalekiter handelten jedoch irrational.
Gegen Ende des zweiten Weltkrieges schickten die Nazis immer noch Juden in die Vernichtungslager; sie leiteten dafür sogar Züge um, die eigentlich Nachschub an die Front hätten bringen sollen. Sie waren so vom Hass getrieben, dass sie sogar die Kriegsanstrengungen gefährdeten, um die europäischen Juden zu ermorden. Der kanadische Philosoph Emil Fackenheim schrieb: „Es war Böses um des Bösen willen.“
Wir sind geboten, Amalek zu gedenken und ihn nie zu vergessen, denn das Böse stirbt nie. Und heute zeigt es sich in jeglicher Form des Terrorismus. Es ist irrational.
Moses deutet an, dass Frieden mit Ägypten möglich ist, obwohl sie uns zu Sklaven machten und versuchten, uns auszulöschen. Aber es ist unmöglich mit jenen, die andere angreifen, weil sie sie für schwach halten. Und die sogar ihrem eigenen Volk die Freiheit verweigern, für die sie zu kämpfen behaupten.
Rabbiner Sacks ist auch heute relevant. Die Hamas glaubte, dass Israel schwach sei und einen langen Krieg nicht durchhalten könnte. Die Spaltung und der Unfrieden in der israelischen Gesellschaft war eine Zusicherung der Schwäche Israels für die Hamas. Erinnern wir uns an die Proteste der Regierungsgegner in 2023 und den Rückzug aus dem Libanon im Mai 2000. Die Hamas war bereit, eine komplette Invasion Israels zu riskieren und erwartete, hohe Zahlen toter Zivilisten zu erhalten. Sie hatten vor, diese Toten (je mehr, desto besser) zu benutzen, um weitere Feinde Israels dazu zu bringen, anzugreifen und das Mitleid der restlichen Welt zu erregen, so dass sich alle Nationen gegen Israel wenden würden.
Ja, wir müssen uns an Amalek erinnern. Er hat in der Geschichte immer existiert. Und manchmal gibt es keine Alternative zum Bekämpfen und Besiegen des Bösen. Das mag der einzige Pfad zum Frieden sein.
Man hat oft gesagt: „Man kann nicht nur 75 % eines Feuers löschen. Wenn man 25 % brennen lässt, wird es sich ausbreiten und binnen kürzester Zeit wieder zu 100 % brennen.“
Paulus fügt einen weiteren Aspekt hinzu, wenn er schrieb von „den Ungläubigen, denen der Gott dieser Welt den Sinn verblendet hat“ (2. Kor. 4, 4). Und dann der oft zitierte Vers: „Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit Mächtigen und Gewaltigen, mit den Herren der Welt, die über diese Finsternis herrschen, mit den bösen Geistern unter dem Himmel“ (Eph. 6, 12).
Und da ist dies von Sacharja: „Siehe, ich will Jerusalem zum Taumelbecher zurichten für alle Völker ringsumher, und auch Juda wird’s gelten, wenn Jerusalem belagert wird. Zur selben Zeit will ich Jerusalem machen zum Laststein für alle Völker. Alle, die ihn wegheben wollen, sollen sich daran wund reißen; alle Völker auf Erden werden sich gegen Jerusalem versammeln“ (12, 2-3).
Dies geschieht jetzt. Die UN-Generalversammlung stimmte für die Anerkennung eines palästinensischen Staates. Von da aus ist es nur noch ein Schritt bis zur voll stimmberechtigten Mitgliedschaft. Heute haben ihn schon 143 Nationen anerkannt. Die Entscheidung ist nur eine Empfehlung. Sogar die US-Regierung unter Biden und Harris drängte den entscheidungsmächtigen Sicherheitsrat, einen Waffenstillstand zu fordern, damit ein weiterer palästinensischer Staat geschaffen werden kann.
Wir werden standhaft bleiben und auf Gottes ewige Verheißungen für sein Volk vertrauen.