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„Zu welchem Stamm gehörst Du?“


Eine Frau fragte mich einmal: „Steht das Muster und die Farbe Ihrer Kippah [oder Jarmulke] für Ihren Stamm?“ Sie meinte damit die 12 Stämme Israels und ging wahrscheinlich davon aus, dass die Kippah-Designs analog zu den schottischen Stoffmustern sind, an denen man die jeweiligen Clans erkennen kann.

„Nein, das ist persönliche Geschmackssache“, antwortete ich. In der Tat können die verschiedenen Designs ausdrücken, wie streng gläubig man ist, sogar politische Neigungen oder andere Zugehörigkeiten.

Jemand anders fragte mich neulich: „Wie verhält es sich mit Gruppen, die nach Jahrhunderten ihr Jüdischsein wiederentdecken, werden sie heute in Israel zu einem Stamm bestimmt?“

Nehmen wir mal die 150.000 äthiopischen Juden (auch bekannt als Beta Israel), die heute in Israel leben. Sie haben bestimmte Aspekte des jüdischen Glaubens praktiziert, waren aber jahrhundertelang von andern jüdischen Gemeinden abgeschnitten.

Oder denken wir weiterhin an andere Gruppen, die beanspruchen jüdisch zu sein, aber nicht offiziell als Juden anerkannt werden: Die Igbo in Nigeria, die Lemba in Simbabwe oder die Abajudaja in Uganda. Oder einfach nur Konvertiten zum Judentum auf der ganzen Welt. Wie sieht es mit ihrer Stammeszugehörigkeit aus, wenn sie als Juden anerkannt werden oder Alijah machen (d.h. nach Israel einwandern)?

Leviten und Priester bilden den Unterschied

Immigranten werden in Israel keinem bestimmten israelischen Stamm „zugeordnet“ (mit 2 Ausnahmen). Die meisten Juden wissen heutzutage nicht, zu welchem Stamm sie gehören. Dafür gibt es zahlreiche Gründe, einschließlich jahrtausendelange Verfolgung, wiederholte Vertreibungen, Vermischung der Stämme und sogar Assimilation. Die Dokumentation ging verloren.

In der Diaspora hatte die Stammeszugehörigkeit keine praktische Bedeutung mehr im Alltag für die meisten Juden. Mit der Zeit sind die Kenntnisse abgeflaut. (Die Frage nach dem Jüdischsein ist jedoch eine andere, wie wir sehen werden.)

Es gibt Einzelne, die ihre Herkunft auf einen bestimmten Stamm zurückführen. Ein paar wenige haben Dokumente wie z.B. Stammbäume, genealogische Auflistungen, die bis zu König David oder noch weiter zurückreichen. Beta Israel-Juden führen ihre Herkunft auf den Stamm Dan zurück. Einige jemenitische Juden führen ihre Herkunft auf Ruben zurück. Das ist nicht alles generell anerkannt oder entspricht nicht den Standards der Geschichtsforschung. Der Großteil der Juden stellt jedoch keine solchen Ansprüche.

Zwei Ausnahmen bilden die Leviten und eine bestimmte Familie innerhalb des Stammes Levi, nämlich die Nachkommen von Aaron, dem Hohepriester. Diese Nachkommen sind bekannt als Kohanim (plural auf Hebräisch, was Priester bedeutet). Heute gibt es 3 Gruppierungen: 1) Kohanim; 2) Leviten oder Levis; und 3) Israel, ein Überbegriff für alle anderen Stämme einschließlich Konvertiten und „wiederentdeckte“ Juden. Diese Kategorien sind auch in der israelischen Bevölkerungsdatenbank verzeichnet. Altertümliche Stammesgrenzen treffen heute in Israel nicht mehr zu.

Anders als der Rest hat der Stamm Levi und seine Untergruppierung, die Kohanim, ihre bestimmte Identität über Jahrtausende hinweg bewahrt. Kürzlich haben genetische Untersuchungen gezeigt, dass der Großteil der Kohanim weltweit denselben Haplotyp oder genetischen Marker besitzt, was impliziert, dass sie zu einer „Familie“ gehören. Dies wird nicht als Beweis von jüdischen Religionsbehörden oder sogar dem Staat Israel verwendet, wird aber von Anthropologen und Historikern als Hinweis auf einen gemeinsamen Ursprung von einem einzigen Vorfahren betrachtet.

Der Dritte Tempel

Warum haben die Leviten und die Kohanim sich ihre Identität bewahrt? Es war eine biblische Notwendigkeit. Aufgrund ihrer besonderen Pflichten, zuerst in der Stiftshütte und später im Tempel, mussten sie strikt auf ihre Abstammungslinie achten. Es gab biblische Einschränkungen, wen die Kohanim heiraten durften. Sie durften z.B. keine Geschiedene, Konvertitin, Nichtjüdin oder andere Frau von zweifelhafter Abstammung oder fraglichem Ruf heiraten. Eine Zuwiderhandlung würde den Kohen als ausführenden Priester entrechten. Genealogische Auflistungen wurden aufbewahrt, um die Abstammung und Eheerlaubnis zu beweisen. Die Frau eines Kohen durfte aus irgendeinem Stamm kommen, aber sie musste auch beweisen, dass sie geeignet ist.

Heute gibt es keinen Tempel mehr, worin besteht also die Funktion eines Priesters ohne Tempel? Orthodoxe Juden glauben an die zukünftige Errichtung eines Dritten Tempels, wie es in der Bibel prophezeit wird. Die Kohanim müssen auch heute noch auf ihre Abstammungslinie achten in Erwartung einer Wiederaufnahme der priesterlichen Pflichten.

Natürlich gibt es in der säkularen Gesellschaft auch assimilierte Kohanim, die eine geschiedene oder nichtjüdische Frau geheiratet haben. Aber in orthodoxen jüdischen Gemeinden in Israel und überall in der Welt werden die Einschränkungen heute noch aufrecht erhalten.

Die Leviten und die Kohanim haben auch besondere Aufgaben im Gottesdienst in der Synagoge. Da z.B. Aaron und seine Nachkommen von Gott den besonderen Auftrag erhielten, Israel mit dem Priestersegen zu segnen (4. Mo. 6, 23-27), ist es allein den Kohanim vorbehalten, diesen Segen während des Gottesdienstes über der Gemeinde auszusprechen. Es ist nicht das Recht des Rabbiners oder irgendeines anderen Amtsinhabers in der Synagoge, es sei denn er ist ein Kohen.

Beweis der Abstammungslinie

Woher weiß ein Levit oder ein Kohen, dass er Levit oder Kohen ist? In den meisten Fällen handelt es sich um eine mündliche Überlieferung. Der Vater teilt es seinem Sohn mit und so weiter. Er lebt in einer Gemeinde, in der er und seine Vorfahren schon immer gedient haben und bekannt sind. Anders als beim jüdischen Status, der durch die Mutter bestimmt wird (matrilineare Abstammung), wird die Stammeszugehörigkeit durch den Vater bestimmt (patrilineare Abstammung). Dies ist auch dokumentiert. Esra nutzte z.B. genealogische Auflistungen, um die Eignung für das Priesteramt zu bestimmen.

Um für die Einwanderung nach Israel als Jude anerkannt zu werden, muss man einen dokumentarischen Nachweis erbringen, dass man Jude ist. Dasselbe gilt, wenn man in Israel oder in einer orthodox-jüdischen Gemeinde an einem anderen Ort in der Welt jüdisch heiraten möchte. Nur zu behaupten, dass man Jude sei, genügt nicht.

Normalerweise ist das hauptsächliche Schriftstück zum Nachweis des jüdischen Status eine Ketubah, der eigene Ehevertrag oder von den eigenen Eltern, der von glaubhaften Zeugen unterschrieben wurde, oftmals von renommierten Rabbinern. Die Rabbiner haben den jüdischen Status einer Person über Generationen untersucht, bevor sie ein Dokument wie einen Ehevertrag unterzeichneten. Der Text der Ketubah wurde über Tausende von Jahren hinweg verwendet und beinhaltet Informationen über die Eltern sowie die Stammeszugehörigkeit im Falle von Kohanim und Leviten. (Eine rabbinische Scheidungsurkunde, genannt Get, beinhaltet ähnliche Informationen.) Ein gültiger Ehevertrag impliziert, dass alle genannten Personen erwiesenermaßen jüdisch sind und, falls zutreffend, Kohanim oder Leviten sind.

Das Prinzip des jüdischen Status auf Basis der Mutter wird biblisch gestützt durch das Buch Esra. Jüdische Männer, die aus der Babylonischen Gefangenschaft zurückkehrten und dort nichtjüdische Frauen geheiratet und Kinder mit ihnen gezeugt hatten, trennten sich als Zeichen der Reue von ihnen und ihren Kindern (Esra 10, 2 ff.). Wären die Kinder als jüdisch betrachtet worden aufgrund des jüdischen Status‘ des Vaters, hätte es keine Notwendigkeit gegeben, sie ebenfalls wegzuschicken, sondern nur die Frauen. Das bedeutet, dass die Mütter der bestimmende Faktor waren.

Darüber hinaus hat Paulus im Neuen Testament nicht auf der Beschneidung von Titus bestanden, der Grieche war (Gal. 2, 3), obwohl er von einigen gedrängt wurde, es zu tun. Als Nichtjuden bestand für Titus nicht die Notwendigkeit. Dagegen beschnitt Paulus aber Timotheus, dessen Mutter Jüdin war und von dessen Vater jeder wusste, dass er kein Jude war (Apg. 16, 1-4). Paulus betrachtete Timotheus als Juden, der beschnitten werden musste aufgrund seiner mütterlichen Abstammung.

Verlorene Stämme: wo sind sie geblieben?

Ascher, Dan, Naftali und die anderen. Was ist mit ihnen passiert? Viele sprechen von „10 verlorenen Stämmen“ des nördlichen Königreiches von Israel nach der Eroberung durch die Assyrer.

Die vielen pseudo-historischen und sektiererischen Annahmen zu diesem Thema können ein Fass ohne Boden sein. Es gibt jedoch ein paar Punkte zu beachten, bevor man die Phantasien und Spekulationen der Vertreter von British-Israelism, Black Hebrews und anderen „Ersatztheorien“ unkritisch übernimmt.

Juden sprechen normalerweise nicht von „verlorenen“ Stämmen, sondern von Stämmen, die verstreut wurden und einigen, die sich vermischt haben. Das nördliche Königreich Israels verlor seine Hoheitsmacht. Viele Einwohner wurden umgesiedelt. Fremde kamen hinzu. Dies bedeutet aber nicht, dass die Stämme vollständig verloren gingen.

Trotz häufiger Spannungen zwischen dem nördlichen Königreich und dem südlichen Königreich (Judäa), gibt es zahlreiche biblische Hinweise auf Israeliten aus dem Nordreich, die weiterhin im südlichen Jerusalem Gott anbeteten und sich sogar dort niederließen (2. Chron. 11, 16-17; 19, 4; 30, 1.11.18.25; 34, 5-6.9.33; 35, 17-18). In der Tat war Jerusalem eine „kosmopolitische“ Stadt mit zahlreichen Stämmen dort vertreten, einschließlich Manasseh und Ephraim (1. Chron. 9, 3). Wir können davon ausgehen, dass zur Zeit des assyrischen Überfalls viele aus dem Nordreich mit einer Verbindung zu Jerusalem Zuflucht in Judäa suchten.

Selbst nach der Rückkehr aus der Babylonischen Gefangenschaft finden wir Hinweise, die nicht nur auf Juda und Benjamin (das Südreich) hindeuten.

Das Neue Testament enthält bemerkenswerte Hinweise. Jakobus, der Bruder von Jesus, richtete sein Sendschreiben an die „12 Stämme“, die zerstreut waren (Jak. 1, 1). Solch ein Hinweis würde wenig Sinn ergeben, wenn die Stämme des Nordreiches nicht mehr existiert hätten.

Lukas erwähnt Hanna, die Tochter des Phanuel aus dem nördlichsten Stamm Ascher, die in Jerusalem lebte 7 Jahrhunderte nachdem der Stamm angeblich „verloren“ war (Luk. 2, 36). Zweifelsohne gab es viele mehr von solchen Fällen. Letztendlich wird auf alle Stämme der Kinder Israels in der Endzeitvision von Johannes Bezug genommen (Offb. 7, 4-8).

Entgegen der landläufigen Meinung, umfasste das Südreich Judäa nicht nur 2
Stämme – Juda und Benjamin. Der Stamm Simeon (Schimon auf Hebräisch) bildete eine Enklave innerhalb der Grenzen Judäas. Weiterhin war der Stamm Levi mit seinen Pflichten im Tempel zweifelsohne stark in Jerusalem und Umgebung vertreten, ohne jedoch ein eigenes, ihm zugewiesenes Gebiet zu haben. Dazu kommen noch die bisher schon erwähnten Stämme.

Dies ist ein sehr verallgemeinernder Überblick über einige Punkte in Bezug auf die Stämme Israels. Der Prophet Maleachi sagte das Kommen des Propheten Eliah voraus, der das Messianische Zeitalter ankündigt. Er sagte: „Der soll das Herz der Väter bekehren zu den Kindern und das Herz der Kinder zu ihren Vätern“ (Mal. 3, 24). Dies wird eine Zeit der Versöhnung unter Familien sein, aber auch zwischen Israel und Gott. Ohne jeden Zweifel werden alle Stammesfragen in einem wiederhergestellten Israel beantwortet werden.