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Warum nur auf den Antisemitismus fokussieren?



Irwin Cotler


Der Autor war von 1999-2015 Mitglied des kanadischen Parlamentes, ist ehemaliger Justizminister und Generalstaatsanwalt von Kanada und emeritierter Professor für Recht an der McGill University in Montreal. Er unterrichtete an den Jurafakultäten von Yale und Harvard und bekam 10 Ehrendoktortitel für sein Werk im Bereich internationaler Menschenrechte. Im Jahre 2000 wurde er zum Sonderberater für den Minister für Äußere Angelegenheiten beim Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ernannt. Seine Worte sind heute mehr denn je relevant.

Ich hatte das Privileg, am erstmalig stattfindenden UN-Generalversammlungsplenum über globalen Antisemitismus teilzunehmen. Auf dieser historischen Konferenz wurden oft Hinweise auf andere Formen des Hasses und der Diskriminierung gemacht.

In der Tat haben Einige sogar die Frage gestellt: „Warum nur auf den Antisemitismus fokussieren?“ Gibt es nicht andere Formen von Hass, Diskriminierung und Intoleranz, die gleichfalls einer Untersuchung bedürfen?“ Ja, die gibt es. In der Tat habe ich als Justizminister und Generalstaatsanwalt von Kanada eine nationale Justizinitiative zur Bekämpfung von Rassismus und Hass erlassen, und die Regierung, in der ich tätig war, erließ auch einen nationalen Aktionsplan gegen Rassismus.

AFP

Zweifelsohne müssen Hass und Rassismus in all ihren Formen und Ausprägungen bekämpft werden. Es gibt jedoch 6 nennenswerte Gründe, die dem Antisemitismus eigen sind, und bei seiner Analyse und Bekämpfung berücksichtigt werden sollten.

Erstens, Antisemitismus ist nicht nur die älteste und langlebigste Form von Hass – welcher mit der Zeit verschiedene Mutationen erfahren hat – sondern vielmehr ein radikaler Hass, der zu einem Anstieg des katastrophalen Leids für Juden und für all Jene geführt hat, die vom Virus des Antisemitismus betroffen sind.

Zweitens, Antisemitismus ist eine Form des Rassismus mit globaler Dimension, der sich selbst in Ländern ohne Juden findet. Kurz gesagt, keine andere verwundbare Minderheit wird durch ein rassistisches Virus global angegriffen, das, wie es in der Londoner Erklärung zur Bekämpfung des Antisemitismus heißt, nicht nur den Hass gegen Juden propagiert, sondern gegen Israel als den Juden unter den Nationen.

Das dritte einzigartige Merkmal ist, dass die Gattung von Rassismus, die sich Antisemitismus nennt, durch weit verbreitete, staatlich sanktionierte – ja sogar staatlich gelenkte – Formen von Anstiftung und Hass gekennzeichnet ist. Juden sind die einzigen Mitglieder der internationalen Gemeinschaft, die ständiges Ziel von staatlichen Sanktionen und Anstiftung zum Völkermord auf globaler Ebene sind.

Viertens, keine andere Form des Rassismus wird durch universelle öffentliche Werte reingewaschen, insbesondere durch den schützenden Deckmantel der Vereinten Nationen, der Autorität internationalen Rechtes, der Kultur der Menschenrechte und des Kampfes gegen Rassismus.

Diese Charakteristik des Antisemitismus zeigt sich zum Beispiel in der UN-Resolution „Zionismus ist Rassismus“, die vom kürzlich verstorbenen US-Senator Daniel Moynihan als Versuch, „der Abscheulichkeit des Antisemitismus das Aussehen einer internationalen, legalen Sanktion [zu geben]“ gewertet wurde. Was einen solchen Antisemitismus so raffiniert und heimtückisch macht, ist seine Verwendung der Sprache der Menschenrechte, seine Genehmigung durch internationales Recht und den schützenden Deckmantel der UNO als Maske für den Hass.

Fünftens, es gibt eine dramatische Zunahme von antisemitischen Angriffen auf Juden, jüdisches Eigentum und jüdische Institutionen.

2014 verzeichnet diese Pandemie des Hasses ihre höchsten Zahlen antisemitischer Taten seit Beginn der Aufzeichnungen – durch vorhandene Hassverbrechen gegen Juden in verschiedenen Ländern wie Großbritannien, Frankreich, Belgien und Schweden. Sogar in den USA und Kanada werden unverhältnismäßig viele Hassverbrechen gegenüber religiösen Minderheiten an Juden verübt.

Und schließlich werden wir Zeugen eines Wiedererwachens aller Beschuldigungen des klassischen Antisemitismus, wie Die Protokolle der Weisen von Zion, jene zaristische Fälschung, die eine internationale, jüdische Verschwörung proklamiert, welche die Weltherrschaft erlangen will. Mehr als 100 Jahre stand sie als die allgegenwärtigste, hartnäckigste und schädlichste Gruppenbeschuldigung der Geschichte im Raum. Heute stärkt diese nicht totzukriegende Lüge die verabscheuungswürdigen Verschwörungstheorien und Anstiftungen zu Verbrechen und macht sowohl die Juden in Israel, als auch die „internationale zionistische Verschwörung“ zur Zielscheibe.

So werden Juden beschuldigt, hinter den Anschlägen vom 11. September zu stecken, jüdischen Ärzten wird vorgeworfen, Palästinenser mit dem AIDS-Virus zu infizieren, jüdischen Wissenschaftlern wird die Verbreitung der Vogelgrippe vorgeworfen; einem jüdischen Astronauten wird die Schuld an der Explosion der Columbia-Raumfähre gegeben; Juden wird die Schuld an der Veröffentlichung der dänischen Mohammed-Karikaturen und der päpstlichen „Verunreinigung“ des Islam gegeben; und Juden wird die Schuld am Irakkrieg gegeben und am Völkermord in Darfur. Dasselbe beschuldigende Erbe wurde auf Israel und die „internationale zionistische Verschwörung“ übertragen, da der jüdische Staat die Schuld schultert für alle Übel, die man jemals den Juden zugeschrieben hat.

In der Tat sind wir Zeugen eines Wiedererwachens aller Beschuldigungen des klassischen Antisemitismus: Die Beschuldigung des Gottesmords, der Blutverwendung, der Wirtschaftskontrolle, der Brunnenvergiftung, der Protokolle und die heuchlerische Beschuldigung der Holocaustleugnung, die mit Unterstellungen einhergeht, Juden seien Nazis. Parallel dazu, und als Begleiterscheinung, werden diese Beschuldigungen nicht nur gegen Juden, sondern gegen den jüdischen Staat selbst geäußert.

Die Zeit ist gekommen, nicht nur die Alarmsirenen gegen diese kritische Masse des Hasses einzuschalten, sondern auch zu handeln, um ihn zu bekämpfen. Die Geschichte hat uns nur zu gut gelehrt, es mag mit den Juden anfangen, es hört jedoch nicht bei den Juden auf.

Jerusalem Post, 27.01.15