Eine Abstimmung im US-Kongress veranlasste mich, auf ein älteres Thema zurückzukommen und aufzuzeigen, dass es auch heute noch relevant ist. Das Folgende basiert auf einem Vortrag meines Vaters, Dr. Herbert Hillel Goldberg, aus den 80er Jahren zum Thema der Kreuzigung Jesu.
Die Anschuldigung, dass allein die Juden die Schuld an der Kreuzigung Jesu tragen, oft in Äußerungen wie: „Die Juden haben Christus ermordet“, ruft noch immer starke Reaktionen hervor. Die Anschuldigung (lateinisch „Deizid“ oder Gottesmord) wird normalerweise kollektiv auf alle Juden projiziert, d. h. die Juden als Nation tragen für immer diese Schuld.
Über Jahrhunderte hinweg wurde dies von der Kirche als Rechtfertigung verwendet, Juden zu verfolgen. Antisemitische Gräueltaten, wie die mittelalterlichen Kreuzzüge, die spanische Inquisition, zahlreiche Pogrome und Vertreibungen von Juden durch die Christenheit wurden von der Kirche auf Basis dieser Anklage initiiert oder angeregt. Selbst während des Holocaust rechtfertigten einige führende Kleriker ihre Untätigkeit gegenüber den Juden aufgrund deren Schuld an der Kreuzigung: Die Juden „bekamen jetzt, was sie verdienen“.
Was aber, wenn ein Christ, der zu Juden und Israel steht, behauptet, dass die Juden Jesus ermordet hätten? Macht ihn das zum Antisemiten?
Vor einigen Monaten stimmte der US-Kongress über einen Gesetzesentwurf (H.R. 6090) ab, um eine nicht rechtsverbindliche Definition von Antisemitismus zu akzeptieren. Diese wurde zunächst vorgeschlagen von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA). Diese Begriffsbestimmung listet einige Beispiele von Antisemitismus auf, einschließlich der Behauptung, die Juden hätten Jesus getötet. Einige Kongressmitglieder stimmten gegen den Gesetzesentwurf und widersprachen der Definition, da sie mit deren traditioneller Lesart des Neuen Testaments und der Schilderung von Jesu Tod in Konflikt stand.
Eines dieser Kongressmitglieder, Matt Gaetz, meinte, die vorgeschlagene Definition wäre gleichbedeutend mit der Leugnung des Evangeliums und stellte sie (und auch sich selbst, ein bekennender Christ) damit als antisemitisch dar. Gaetz prangerte jedoch auch die Bösartigkeit des Antisemitismus an. Er rief zur Beendigung der US-Zahlungen an die Vereinten Nationen auf und schlug vor, mit diesen Geldern besser Israel zu unterstützen. Er drückte auch seine Hoffnung aus, dass Israel die Hamas zerstören würde. Das sind nicht gerade die Standpunkte eines Antisemiten.
Millionen von Christen sind keine Antisemiten, nur, weil sie an dem Glauben festhalten, die Juden hätten Jesus getötet. Es kommt aber darauf an, wie sie diesen Glauben umsetzen. Einige sind schlicht falsch informiert, was das Neue Testament sagt. Andere wiederum wurden von gesellschaftlichen und religiösen Einflüssen in ihrer Erziehung geprägt, ganz zu schweigen von den Predigten, die normalerweise in der Osterzeit gehalten werden. Dennoch unterstützen viele dieser Christen den Staat Israel und nehmen pro-jüdische Standpunkte ein, welche eine Anklage wegen Antisemitismus schwächen. Sie mögen pro-jüdisch sein, aber als gläubige Christen akzeptieren sie das Neue Testament und dessen Lehren so, wie sie es verstehen.
Die Vorstellung, dass die Juden als Gesamtheit einzig schuldig seien, ist antisemitisch und wird tatsächlich nicht vom Neuen Testament gestützt. Sie basiert auf einer historischen Fixierung der Kirche auf ein paar Verse, während viele andere relevante Verse ignoriert werden.
Alle Evangelien enthalten Erwähnungen der Kreuzigung Jesu, oft auch die Passion Christi genannt: Der Betrug durch Judas Iskariot, die Beteiligung der jüdischen Anführer im Prozess vor Pontius Pilatus, die Menschenmasse, die nach Kreuzigung ruft. „Sein Blut komme über uns.“ Für einige reicht dies schon, um alle Juden für immer schuldig zu erklären. Aber stimmt das?
Die Juden waren nicht alleine Teil der Angelegenheit. Sowohl Herodes (idumäischer Herkunft) und Pontius Pilatus (der römische Präfekt oder Gouverneur) urteilten im Fall der Anklage gegen Jesus. Er wurde ausgepeitscht, verspottet und schließlich von römischen Soldaten gekreuzigt. Das sind keine Kleinigkeiten. Zu dieser Zeit hatte der Sanhedrin die Autorität zum Vollzug von Todesstrafen an die römischen Herrscher verloren, was durch die Aussage von Pontius Pilatus bestätigt wurde: „Weißt du nicht, dass ich Macht habe, dich loszugeben, und Macht habe, dich zu kreuzigen?“ (Joh. 19, 10).
Dies könnte den Anschein der Wortklauberei oder der Schuldzuweisung an andere machen. Tut es aber nicht. Die Römer spielten eine bedeutende Rolle in der Kreuzigung, aber die Geschichte meinte es besser mit ihnen und ihren Nachkommen. Die Kirche betonte die kritische Rolle der Römer nicht, wie sie es mit den Juden getan hat. Die Römer werden nicht verächtlich „Christusmörder“ genannt, wie die Juden. Niemand beschuldigt heute die Italiener oder andere Nachkommen der Römer des Gottesmordes, der vor zweitausend Jahren begangen wurde. Es scheint aber akzeptabel, die Juden herauszugreifen. Das ist eine Doppelmoral. Und die ist antisemitisch.
Seht aber, was das Neue Testament zur Kreuzigung Jesu sagt: „Die Könige der Erde treten zusammen, und die Fürsten versammeln sich wider den Herrn und seinen Christus. Wahrhaftig, sie haben sich versammelt in dieser Stadt gegen deinen heiligen Knecht Jesus, den du gesalbt hast, Herodes und Pontius Pilatus mit den Heiden und den Stämmen Israels, zu tun, was deine Hand und dein Ratschluss zuvor bestimmt haben, dass es geschehen sollte“ (Apg. 4, 26-28; Hervorhebung hinzugefügt). Obwohl das Volk Israel erwähnt wird, werden auch die Heiden genannt – sogar zuerst.
Dennoch sind die Heiden der Bissigkeit entkommen, die seit zweitausend Jahren von den Kanzeln über die Juden ausgekippt wird. Anders formuliert, so empörend es auch scheinen mag, sind auf der Grundlage von Apostelgeschichte 4 nicht auch die Heiden „Christusmörder“?
Ich bin nicht dafür, irgend jemanden einen „Christusmörder“ zu nennen. Aber die Heidenkirche hat mit diesem Beinamen jahrhundertelang die Juden beschimpft. Ein klassischer Fall von einem Topf, der einen anderen schwarz nennt. Das Neue Testament weist, im Gegensatz zu vielen Christen, nicht die alleinige Schuld für die Kreuzigung den Juden zu. Es verweist eher auf die Verantwortung aller Beteiligten in dieser Sache. Denn „sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen“ (Röm. 3, 23).
Darüber hinaus ist der springende Punkt, soweit es das Neue Testament betrifft, die Tatsache, dass die Juden oder die Heiden oder ein anderer Jesus umgebracht hätten? Ist das die hauptsächliche Botschaft, die es mitteilen will? Durch antisemitische Taten, ist das die Botschaft der Kirche, die leider übermittelt wurde, was es für Juden verständlicherweise ziemlich unattraktiv macht.
Das Neue Testament verweist auf den Tod Jesu immer wieder als ein Geschenk der Liebe Gottes zur Erlösung (Matt. 20, 28; Joh. 3, 16; Röm. 5, 8; 6, 23; 2. Kor. 9, 15; Eph. 2, 8). Die meisten Christen stimmen sicherlich zu, dass sich dies wie ein roter Faden durch das gesamte Neue Testament zieht.
Darüber hinaus wird der Tod Jesu immer wieder als aufopfernd, erlösend, sühnend und notwendig charakterisiert (Joh. 1, 29; Röm. 3, 23; 5, 8-9; 6, 23; 1. Kor. 5, 7; 2. Kor. 5, 21; Heb. 9, 22).
Die Anklage des „Christusmordes“ oder Deizids gegen die Juden degradiert diese edlen Botschaften zu einem Narrativ über Mord. Es legt nahe, dass das, was geschehen ist, falsch war und besser nicht hätte passieren sollen. Bedenken Sie die theologische Auswirkung: Es unterminiert die Kernlehre des Christentums und würdigt außerdem das Geschenk herab. Wenn der Opfertod Jesu hätte vermieden werden sollen, welche zielgerichtete, erlösende Bedeutung hätte das?
Jesus hätte auf keine andere Weise sterben können. Er hätte nicht einfach an Altersschwäche sterben und für seine Altersweisheit und moralische Lehren erinnert werden können. Das war nie der Plan, wie das Neue Testament ganz klar besagt. Zur Erinnerung, Heiden und Juden waren gemeinsam versammelt, um zu tun, „was … geschehen sollte.“ (Apg. 4, 28). Mit anderen Worten, es gab keine Wahl für die Juden und Heiden in dieser Sache. Die Kreuzigung gehörte zu Gottes Plan.
Zitate wie „sein Blut komme über uns“ gehören zum Neuen Testament. Es gibt jene, die darauf bestehen: “Sie haben es gesagt und so ist es”, da sie es unzählige Male gelesen oder in Predigten gehört haben. Sich auf diese 5 Wörter zu fixieren und gleichzeitig zahlreiche andere relevante Stellen zu ignorieren, ist jedoch eine Verzerrung, eine menschengemachte Tradition. Sind diese Worte wirklich der entscheidende Faktor, der alle anderen Worte übertrifft? Lesen Sie weiter.
Was ist mit den Worten Jesu? Haben Sie keine Wirkung? „Ich bin der gute Hirte. Der gute Hirte lässt sein Leben für die Schafe … Und ich lasse mein Leben für die Schafe … Darum liebt mich der Vater, weil ich mein Leben lasse, auf dass ich’s wieder empfange. Niemand nimmt es von mir, sondern ich selber lasse es. Ich habe Macht, es zu lassen, und habe Macht, es wieder zu empfangen“ (Joh. 10, 11. 15. 17-18; Hervorhebung hinzugefügt). Um es zu wiederholen: „Niemand nimmt es [Leben] von mir,sondern ich selber lasse es“ (V. 18).
Im Moment des größten Leidens am Kreuz sagte Jesus: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (Luk. 23, 34). „Vergib ihnen.“ Jesus vergab. Das sollte die Debatte zum Schweigen bringen.