Artikel

Diesmal wissen wir es …


Dr. Herbert Hillel Goldberg

„Was ist’s, das geschehen ist? Eben das hernach geschehen wird. Was ist’s, das man getan hat? Eben das man hernach wieder tun wird; und geschieht nichts Neues unter der Sonne“ (Pred. 1, 9).

In der vorigen Ausgabe von HASCHIWAH  (Jahrg. 35, Nr. 3) brachte ich ein Essay „Ein alter Geist im Nahen Osten“ über das fortwährende Vorhandensein des Nazigeistes und sein Wüten gegen die jüdische Bevölkerung Israels. Von vielen in der Historie verankerten und in der gegenwärtigen Auftrittsart selbst bestehenden Beweisen zitierte ich einige besonders prägnante. Der Artikel wurde in diversen Medien und in etlichen Sprachen weltweit verbreitet. Obwohl viele Menschen wissen, dass der Islam den Antisemitismus fördert, wissen viele nicht, dass die Fortpflanzung der Nazirassentheorie im Nahen Osten so direkt und unmittelbar erfolgte und derart nachhaltig als Judenhass grassiert.

Als ich wie so oft während des Jiskor-Seelengedenkgottesdienstes der Synagogengemeinde aus dem Gebetbuch wieder im Gebet „Kel Maleh Rachamim“ (Gott voller Erbarmen) mitgelesen habe von den, wie es dort steht, „sechs Millionen jüdischen Märtyrern, die durch die Hände der deutschen Unterdrücker ermordet wurden“, musste ich als Überlebender an meine nächsten Verwandten denken und der Ordnung entsprechend ihre Namen nennen. Danach dachte ich auch daran, dass man in der Bibel und anderen Gottesdienstbüchern zwar meistens von unserer Unterjochung in Ägypten liest, aber so ist jetzt auch Deutschland verewigt.

Wie wenig wusste man?

Ein dritter Gedanke wurde Gegenstand des jetzigen Essays. Ich habe es allzuoft gehört: „Das haben wir damals alles nicht gewusst, und hätten wir den Juden geholfen, wäre unser Leben in Gefahr gewesen.“ Ich habe gegen solche Äußerungen nicht opponiert – um des Friedens willen. Ich lebte in den Kriegsjahren unter Deutschen und Polen und kannte selber die Lebensgefahr der Helfer.

Allerdings kann man gegen die vermeintliche Unkenntnis einwenden, dass Hitlers sowohl in seinem Buch „Mein Kampf“ als auch in seinen Reden wiederholt gemachten „Prophezeiungen von einem judenfreien Europa“ kaum Zweifel über sein Ziel übrig ließen. Manche Bürger hofften noch, dass der Reichstag den tobsüchtigen Schreihals bändigen könnte. In der Diktatur sah es dann anders aus.

Es war auch nicht zu übersehen, dass alle jüdischen Nachbarn zusammengetrieben wurden und verschwanden, dass auch leere Plätze in Schulbänken entstanden. Wo hatte man alle gewaltsam hingebracht? Jemand äußerte sich vielsagend so: „Die SS-Männer und KZ-Wächter und -Mitarbeiter waren auch Söhne, Brüder,  Ehemänner, Töchter, Schwestern, Ehefrauen und mit ihren Verwandten in Verbindung.“

Damals ist gewesen – aber heute!

Mancher bedauerte es später, dass er in der Verfolgungszeit nicht helfen konnte oder es nicht wollte oder damals noch nicht lebte. Wie gerne hätte man doch den Juden geholfen, und welche Belohnung würde solche Helden im Himmel erwarten!

Lieber Leser, liebe Leserin, diese Zeit des Judenhasses ist noch da – zumindest im Nahen Osten. Wir können keinen Mantel darüber werfen. Wer es damals nicht konnte, kann sich jetzt für die Juden einsetzen, heute! Eine polnische Christin zeigte mir in Warschau, wo sie und andere Polen damals Brot über die Mauer ins Ghetto geworfen hatten und herzensdankbare Worte von Unbekannten vernahmen. Wie gesegnet wurden sie und ihre Familien dafür. Gottes Wohlgefallen überbot alle Gefahren und Verluste.

Und heute? Es ist eine lange Liste – mit Deutschland bedeutend darunter – von Staaten, die jetzt Völker mit Waffen, Herstellungsgerätschaft und -material, Kenntnissen und Finanzen unterstützen, die sich der Vernichtung Israels verschworen haben. Auf welcher Seite sind diese Lieferanten? Häufen sie nicht neue Schuld und neue Sünden an, die der Gott Israels bitter sühnen wird?

Wissen wir nicht von Iran? Wissen wir nicht von einem Ahmedinejad, der täglich die gleichen Beschuldigungen gegen das jüdische Volk schleudert und eine Totalvernichtung prophezeit wie einst Hitler es tat? Und wie verhält sich die Welt diesmal, wenn solch ein Tyrann das in der UNO tun kann, während Vertreter vieler Länder da sitzen und sich solches anhören – gegen ein anderes UNO-Mitglied Israel? Wo bleiben da Recht und Gerechtigkeit, UN-Charter, Verfassung, Grundgesetz? So weit ist es also schon.

Gewiss wird Gott mit dem neuen Hitler abrechnen, wie er es mit dem alten tat. Israels Zukunft ist gesichert.

Durch seine Untaten wurde das deutsche Volk sogar mit dem jüdischen Gebetsgottesdienst in negativer Weise verknüpft. (Andere Völker sind nicht erwähnt, aber Hitler hatte viele internationale Komplizen.) Wie erhebender wäre es doch, wenn Völker durch beispielhaften Beistand als Wohltäter Israels in einem Dankgebet erwähnt werden könnten. Der Gedanke kann illusorisch wirken, aber für einzelne Freunde ist er eine Einladung.

Es besteht ein Nachholbedarf!

Es sind herausfordernde, wenn nicht entscheidende, ernste Worte. Aber für jeden Freund des jüdischen Volkes gibt es heute keine Halbheit mehr, man ist prinzipiell für oder wider. Israel braucht jetzt Beistand mit Gebet und Handreichung. Als Jude in Jerusalem darf ich jeden Christen weltweit an die Worte des jüdischen Jesus erinnern: „Wahrlich ich sage euch: Was ihr getan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Matth. 25, 40). Nur wer sich als Gottes Mitarbeiter an Israels Schutz und Wiederaufbau beteiligt hat, wird sich auch mit Israel freuen.

„Jauchze, du Tochter Zion! Rufe, Israel! Freue dich und sei fröhlich von ganzem Herzen, du Tochter Jerusalem! … Der Herr, der König Israels, ist bei dir, dass du dich vor keinem Unglück mehr fürchten darfst … Jerusalem: Fürchte dich nicht! … Zion: Lass deine Hände nicht lass werden! Denn der Herr, dein Gott, ist bei dir, ein starker Heiland … Zu der Zeit will ich euch hereinbringen und euch zu der Zeit versammeln. Denn ich will euch zu Lob und Ehren machen unter allen Völkern auf Erden, wenn ich euch wiederherstelle vor euren Augen, spricht der Ewige“ (aus Zeph. 3, 14-20).