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Warum würde Gott Mose töten wollen?


Why Would God Kill Mozes?
Gabriel A. Goldberg, M.A.

Gabriel A. Goldberg, M.A.

In den Anfangskapiteln von 2. Mose wird ein absonderliches Ereignis geschildert. Es verdeutlicht ein fundamentales Prinzip von Gottes Beziehung zu Israel. Nur kurz erwähnt, erscheint es zweitrangig für die größere Rahmenhandlung, den Auszug des Volkes Israel (Exodus). Es ist jedoch ein Kernstück der Handlung. Diese merkwürdige Episode mit einer wichtigen Botschaft lenkt unsere Aufmerksamkeit auf heutige Ereignisse. Sie dient als strenge Warnung, sich Gott beim Thema Israel nicht zu widersetzen.

Als Mose zu seiner Reise nach Ägypten aufbrach, um vom Pharao die Freilassung Israels aus der Sklaverei zu verlangen, lesen wir: „Und es geschah auf dem Weg, in der Herberge, da trat der HERR ihm entgegen und wollte ihn töten. Da nahm Zippora einen scharfen Stein, schnitt ihrem Sohn die Vorhaut ab, berührte damit seine Füße und sagte: ‚Du bist mir ein Blutbräutigam!‘ Da ließ Er von ihm ab. Dann sagte sie: ‚Ein Blutbräutigam wegen der Beschneidung‘“ (2. Mo. 4, 24-26). Es scheint, als versuchte Gott Mose zu töten. (Das ist die übliche Auslegung.)

Wirklich bizarr.

Gott gibt Mose einen großen Auftrag, Israel aus Ägypten zu führen (3, 10) und gerade als er losgeht, will Gott ihn töten. Doch ebenso schnell lässt Gott ohne weitere Erklärung wieder davon ab. Nur 3 Verse, dann geht die Erzählung mit der Geschichte des Exodus weiter.

Die Inkongruenz dieses Ereignisses erfordert es, dass wir dies untersuchen. Dabei erkennen wir auch eine bemerkenswerte Parallele zwischen der Weigerung des Pharaos, Israel ziehen zu lassen und zwischen Moses ständigen Ausreden, Gottes Instruktionen zu befolgen.

Die Schlüsselfrage lautet: Warum wollte Gott Mose töten?

In der Bibel wird für gewöhnlich deutlich, warum Menschen von Gott bestraft werden, oder es gibt zumindest eine Vorwarnung, zum Beispiel bei Adam und Eva, Kain oder der Stadt Ninive. In unserer Geschichte ist scheinbar kein Grund genannt.

Wird der Bund der Beschneidung wirklich vernachlässigt?

Jüdische wie christliche Bibelausleger suchen im Kontext nach der Antwort, insbesondere in den 2 Versen nach Gottes Versuch, Mose zu töten. Zippora, Moses Frau, beschnitt den gemeinsamen Sohn. Infolgedessen ließ Gott davon ab, ihn töten zu wollen. Die Beschneidung, so scheint es, besänftigte Gott.

Die jüdischen Bibelausleger Raschi und Sforno schlossen daraus, dass Mose es versäumt hatte die auf einem Bund beruhende Beschneidung an seinem Sohn vorzunehmen. Gott war so zornig auf Mose, dass er ihn sogar töten wollte. Christliche Bibelausleger stimmen mit dieser Auslegung überein.

Doch diese Interpretation ist problematisch:

  1. Die Bibel sagt, ein unbeschnittener jüdischer Mann muss selber die Karet-Strafe tragen – seine Seele wird von seinem Volk getrennt (1. Mo. 17, 9-14). Nirgendwo im Gesetz steht, dass ein Vater mit dem Tod oder etwas anderem bestraft wird, weil er die Beschneidung seines Sohnes vernachlässigt hat.
  2. Die während der 40-jährigen Wüstenwanderung geborenen Israeliten wurden erst kurz vor Betreten des Verheißenen Landes beschnitten, und nicht vorher (Jos. 5, 2-8). Sie wurden nicht von Gott getötet. Ihre Eltern starben in der Wüste, da sie den schlimmen Berichten (die Sünde der Kundschafter!) über das gute Land geglaubt hatten – nicht, weil sie keine Beschneidung vornahmen. Wenn Gott die Geduld hatte, 40 Jahre auf die Beschneidung bei der Wüstengeneration zu warten, warum sollte er Mose jetzt auf dem Weg nach Ägypten bestrafen?

Sagt die Bibel dies wirklich? Einige Übersetzungen sind irreführend

Pharaoh's first bornEin weiteres Problem: Sind wir sicher, dass Gott Mose töten wollte? Vielleicht wollte Er jemand anderen töten.

Viele Leser wird es überraschen, dass die Bibel nicht sagt, Gott beabsichtigte Mose zu töten. Der hebräische Urtext nennt den Namen der Person nicht. Das Hebräische verwendet im 2. Mose 4, 24 nur Pronomen: „Da trat der HERR ihm entgegen und wollte ihn töten.“ Ist mit „ihn“ zwangsläufig Mose gemeint? Wir wissen, dass 4 Leute auf die Reise gingen: Mose, Zippora und ihre beiden Söhne, Gerschom und Eliëser. Die Einzige, die ganz sicher nicht gemeint war, ist Zippora.

Die New International Version (NIV), eine beliebte englische Bibelübersetzung unter Evangelikalen, fügt „Mose“ im Text ein, statt wortwörtlich „ihn“ zu übersetzen. Im Vorwort geben die Herausgeber zu, der Verständlichkeit halber manchmal Pronomen durch Eigennamen oder Namen zu ersetzen. Obwohl gut gemeint, gehört doch einige Dreistigkeit dazu, den Text zu verändern.

Man muss den Herausgebern zugute halten, dass sie in einer Fußnote schreiben, „ihn“ könne sich auf Moses Sohn beziehen, doch das Kleingedruckte lesen viele nicht. Statt aufzuklären, macht der NIV-Text den Leser glauben, Mose sei Gottes Ziel.

Diese gezielte Fehlübersetzung von „Mose“, statt „ihn“ findet sich häufig in christlichen, und gelegentlich in jüdischen Bibelübersetzungen. Einige weisen nicht auf die Textänderung hin. Der Leser weiß somit nicht, dass der Text durch Interpretation „verfälscht“ wurde.

Wer also ist Gottes Opfer? Mose, Gerschom oder Eliëser? Während viele glauben, es sei Mose, haben Bibelausleger jeweils jeden der drei vorgeschlagen.

Der mittelalterliche Ausleger Ibn Esra schlug Eliëser vor. Ein anderer, Raschbam, schrieb, Gott versuchte, Mose zu töten, nannte jedoch einen anderen Grund dafür: Raschbam behauptete, Gott wollte Mose bestrafen, weil er Gottes Befehl, beim Pharao vorzusprechen, verzögerte.

Jetzt werden einige Leser fragen: Spielt es denn überhaupt eine Rolle, wer es war? Hören Sie mit der Haarspalterei auf und konzentrieren Sie sich auf den Befreiungsschlag des Exodus.

Tatsächlich sind aber das „Wer“ und das „Warum“ entscheidend für das Verständnis des Exodus. Erst beide Aspekte zusammen genommen, lassen uns die zugrunde liegende Botschaft verstehen.

Ich stimme Rashbam zu, jedoch nur teilweise. Gott strafte Mose, weil er seine Mission hinauszögerte, doch der Mensch, den Gott töten wollte, war nicht Mose, sondern Gerschom, sein Erstgeborener.

Ein anderer Kontext, eine andere Antwort

Statt die Verse 25 und 26 nach Gottes Versuch, jemanden zu töten, sollte man die Verse davor näher betrachten, nämlich die Verse 22 und 23. Dort befiehlt Gott Mose dem Pharao zu sagen: „So spricht der HERR: Mein erstgeborener Sohn ist Israel. Und ich sage dir: Lass meinen Sohn ziehen, damit er mir diene! Du aber hast dich geweigert, ihn ziehen zu lassen, siehe, so werde ich deinen erstgeborenen Sohn töten.“

Gott hat eine Bestimmung für Israel. Es soll eine heilige Nation sein, ein Königreich von Priestern. Gottes Diener, nicht Pharaos Sklaven. Es ist Gottes Plan, Israel zu befreien, dem Volk das Gesetz zu geben und es in das Verheißene Land zu bringen. Dort wird es seine priesterliche Funktion erfüllen als „erstgeborener Sohn“ unter den Nationen. Israel ist Gottes Teil und Eigentum, nicht Pharaos Eigentum und Spielzeug.

Interessant, dass Mose beim ersten Treffen mit dem Pharao nicht sagte, was Gott ihm auftrug zu sagen (Verse 22-23). Zumindest hält die Bibel das nicht fest. Man könnte sogar erwarten, diese Worte vor der 10. Plage, der Erschlagung der ägyptischen Erstgeborenen, zu hören. Aber auch dort werden sie nicht erwähnt. Man beachte auch, dass Gott sagte, „Du aber hast dich geweigert, ihn ziehen zu lassen“, noch bevor Mose den Pharao überhaupt getroffen hatte, und dieser es verweigern konnte. Im Hebräischen steht der Satz in der Vergangenheit (va-tema’en, mit dem „vav-Konsekutiv). Die meisten christlichen Übersetzungen verwenden hier fälschlicherweise die Zukunftsform mit einer Bedingung („wenn du dich weigern wirst, … dann …“).

Die Warnung scheint textmäßig und chronologisch an der falschen Stelle zu stehen. Eigenartig, dass sie hier steht, unmittelbar, bevor Gott jemanden in Moses Familie töten will. Es sei denn, die Drohung ist an Moses Familie gerichtet.

Genau das ist der Punkt. Klar, diese Warnung gilt dem Pharao, wie der Vers 22 verdeutlicht. Sie enthält aber auch eine Botschaft an Mose, der, ähnlich wie der Pharao, Israels Befreiung aus der Sklaverei hinauszögerte.

Die 10 Weigerungen des Pharaos … und des Mose

moses-leaderAlle wissen, der Pharao weigerte sich 10 Mal, Israel ziehen zu lassen. Das Ganze gipfelte in der letzten Plage, der Tötung der Erstgeborenen in Ägypten. Wenigen ist jedoch bewusst, dass auch Mose 10 Mal seiner Mission nicht nachkam oder sie hinauszögerte. Er fand Gründe, um nicht zu gehen und schlug Alternativen vor. Er war schwer zu überzeugen oder langsam zum Handeln. Ganz anders als Abraham, der ohne Protest nach Morija reiste.

Um es kurz zu machen, nenne ich nur zwei, die 9. und die 10., die unsere Geschichte hier umrahmen.

Die 9. Verzögerung entstand gerade, als Mose sich auf die Reise machte. Statt nach Ägypten zu eilen, nahm er seine ganze Familie mit, was ihn natürlich aufhielt. Wir wissen, das war ein Fehler, denn letztlich schickte er sie nach Midian zurück (18, 1-6).

Nach 9 Verzögerungen und Ausreden von Mose sagte Gott zu ihm: „Und du sollst zum Pharao sagen: So spricht der HERR: Mein erstgeborener Sohn ist Israel. Und ich sage dir: Sende [hebr.] meinen Sohn, damit er mir diene! Du aber hast dich geweigert, ihn ziehen zu lassen, siehe, so werde ich deinen erstgeborenen Sohn töten“ (4, 22-23).

Das ist ganz klar eine Botschaft an Pharao. Doch sie kann auch als für Mose geltend gelesen werden. Es ist, als würde Gott den Vers 22 an Pharao richten, sich dann Mose zuwenden und Vers 23 an ihn richten und sagen: „Und ich sage dir [Mose]: Sende meinen Sohn … du aber [Mose] hast dich geweigert … so werde ich deinen erstgeborenen Sohn töten.“ Man kann wirklich den hebräischen Text so lesen, als eine Botschaft an beide.

Wir kommen zur 10. und beinahe tödlichen Verzögerung. Auf seinem Weg nach Ägypten hielt Mose zum Übernachten an einer Herberge. Dass die Familie ruhen musste, ist verständlich. Doch es war falsch, sie überhaupt erst mitzunehmen, und jetzt verzögerte sich die Mission erneut.

Nun versuchte Gott nicht Mose, sondern Gerschom, seinen erstgeborenen Sohn, zu töten. Jetzt wird uns klar, warum die Warnung an den Pharao, den Erstgeborenen zu töten, vor Moses 10. Verzögerung steht, und nicht anderswo, zum Beispiel vor der 10. Plage einige Kapitel später. Das ist die perfekte Stelle. Die Inkongruenz ist beseitigt.

Maß für Maß, oder was man sät, erntet man

Moses wiederholte Ausflüchte, sein Mangel an Selbstvertrauen und an Glauben an Gott als Garanten für Moses Mission sind die Vorboten der 10 Ablehnungen von Gottes Plan durch den Pharao. Mose war sogar derselben Bedrohung ausgesetzt wie der Pharao, dem Tod seines Erstgeborenen. Das ist das biblische Prinzip, Maß für Maß, hebräisch midah k’neged midah genannt, oder, was man sät, das wird man ernten. Wenn Mose und der Pharao mit Israel, Gottes Erstgeborenem, nachlässig umgehen, wird Gott mit ihren Erstgeborenen ebenso handeln.

„In deinem Blute lebe“ (Hes. 16, 6)

Die Beschneidung des Kindes Gerschom rettete ihm das Leben. Zippora ließ demonstrativ die Vorhaut des Kindes dessen Füße berühren (nicht Moses Füße, wie dies oft in Übersetzungen eingefügt wird). Gott war gnädig, und die Bedrohung ging an dem Erstgeborenen vorüber. Man muss unweigerlich an die Parallele zu den Israeliten denken, die später ihre Türpfosten und ihre Oberschwellen mit Blut berührten, um der Plage zu entkommen, die die Erstgeborenen in Ägypten traf. Der Wortstamm des hebräischen Verbes für die Berührung (נ,ג,ע) der blutigen Vorhaut mit Gerschoms Füßen (4, 25) ist bemerkenswerterweise derselbe wie beim späteren Akt der Berührung der Türpfosten mit Blut (12, 22). Leider geht dies in manchen Übersetzungen verloren.

Es gibt mehrere textuelle Gründe, die Interpretation „Gerschoms Füße“ der gängigen Auslegung „Moses Füße“ vorzuziehen. Doch das sprengt den Rahmen dieses Aufsatzes. Ich möchte nur noch anmerken, dass im Hebräischen auch hier nur Pronomen stehen, keine Namen: „Sie berührte damit seine Füße“ (4, 25). Unmittelbar davor ist von Gerschom die Rede, nicht von Mose. Auch der Ausdruck, der oft mit „Blutbräutigam“, oder ähnlich, übersetzt wird (4, 25-26), bedeutet nicht zwangsläufig „Bräutigam“, sondern vielmehr „jemand, der in einem Bund ist“, was jetzt für Gerschom zutraf. Doch das wäre eine weitere Bibelarbeit.

Das Rätsel ist gelöst

Diese Abhandlung hat die Identitätsfrage geklärt und eine schwierige Bibelstelle verständlich gemacht. Wir haben gesehen, wie Übersetzungen unser Verstehen in eine falsche Richtung lenken können. Ist es wichtig zu wissen, wen Gott zu töten versucht? Absolut. Die Tatsache, dass Gerschom, der erstgeborene Sohn, das beabsichtigte Opfer war, und nicht Mose, unterstreicht Israels Status als erstgeborenen Sohn. Ein kurzes Ereignis, das ein bloßer Anhang zu sein schien, steht jetzt als Banner über der ganzen Geschichte des Exodus.

Doch das ist mehr als eine Bibelarbeit. Welche Relevanz hat diese Geschichte für uns heute?

Eine Botschaft an Mose, eine Botschaft an uns

Die Folgen von Moses Ausflüchten waren die Vorboten des größeren Dramas, nämlich Pharaos Widerstand gegen Gottes Plan. Und beide wiederum sind Vorboten eines noch größeren Dramas, das sich in unseren Tagen ereignet. Die Relevanz der betrachteten Episode liegt in ihrer rechtzeitigen Warnung. Wenn Gott den König Ägyptens dafür bestrafte, dass er Israel vom Erreichen seiner Bestimmung abhielt, und wenn er sogar Mose bestraft hätte, den angehenden politischen und religiösen Leiter Israels, weil er die Sache hinauszögerte, was verheißt das für die Führungskräfte in unseren Tagen?

Die mit Vorurteil und Tücke behafteten Leiter der Völkergemeinschaft ignorieren das schreckliche Leid auf der Welt, um ihre heuchlerischen Verurteilungen einzig und allein gegen den jüdischen Staat zu richten. Ihr Ziel ist es, Israel zur Aufgabe seines von Gott gegebenen Landes zu zwingen. Damit behindern sie Gottes Plan. Mehr denn je sind viele Länder entschlossen, Israel zu isolieren, zu boykottieren und zu erpressen. Damit begeben sie sich unmittelbar in einen Konflikt mit Gott. Der Prophet warnt: „Der HERR wird aus Zion brüllen“ (Joel 4, 16; oder 3, 16 in einigen Übersetzungen), wenn Er sie verurteilen wird für die Teilung des Landes Israel. 

Auch Israels Leiter, religiöse wie politische, werden davor gewarnt, Gottes Pläne für Israel hinauszuzögern. Entschuldigungen oder Ausreden werden nicht akzeptiert. 

Israel muss noch ganz in seine von Gott vorgesehene Bestimmung hineinkommen. Doch die Sammlung, „der Anfang des Aufsprießens unserer Erlösung“ hat begonnen. Die Zeit ist gekommen.